Am 1. Februar trafen sich alle drei Deutsch-Kurse der Q1 mit ihren Lehrerinnen am Hansaring, um eine Aufführung des fragmentarischen Dramas „Woyzeck“ (1836/37) von Georg Büchner im Horizont-Theater (Thürmchenswall 25) zu besuchen. Den Inhalt des Stücks fasst eine Schülerin folgendermaßen zusammen: „Woyzeck ist ein einfacher Stadtsoldat, der zusätzlich zu seiner Arbeit noch andere niedere Aufgaben übernimmt, um seine Familie zu ernähren. Er gehört somit zu der unteren Klasse der Gesellschaft. Um mehr Geld zu verdienen, dient er dem Experiment eines Doktors: Dieser fordert, dass er für eine wissenschaftliche Studie nur Erbsen isst, was ihn verrückt werden lässt. Als ihn seine Lebensgefährtin Marie dann auch noch mit dem höher gestellten Tambourmajor betrügt, geht es ihm psychisch immer schlechter. Infolge seines Wahnsinns und der ständigen Unterdrückung durch Andere entschließt Woyzeck sich, Marie zu ermorden.“ (Jule, Jg. 12)
Alle drei Deutsch-Kurse hatten das Drama bereits im Spätsommer gelesen, konnten sich aber aufgrund der Kürze des Textes schnell wieder in die Handlung hineinfinden und im Vorfeld der Veranstaltung Fragen entwickeln, die sich auf die bevorstehende Inszenierung bezogen. An vorderster Stelle stand die Frage nach der Szenenreihenfolge, denn das Drama ist unvollendet und die Anordnung der Szenen gilt durch den frühen Tod Büchners nicht als gesichert. Des Weiteren interessierten sich die Schüler:innen natürlich für die schauspielerische Umsetzung der Rollen, die Gestaltung des Bühnenbilds, den Einsatz von Lichteffekten und natürlich für die szenische Umsetzung des Mords…
Als das Publikum, das ausschließlich aus Schüler:innen und Lehrer:innen bestand, seine Plätze kurz nach 18 Uhr eingenommen hatte, wartete die Aufführung direkt mit einer Überraschung auf: Sie begann mit einer Szene zwischen Woyzeck und dem Hauptmann, die in der im Unterricht behandelten Textausgabe erst später vorkommt: „Das Stück beginnt auf einer kleinen Theaterbühne, vor der man das Geschehen hautnah mitverfolgen kann. Direkt in der ersten Szene sieht man, wie Woyzeck den Hauptmann rasiert. Man saß so nah an dem Geschehen dran, dass man den Rasierschaum beinahe riechen konnte.“ (Tom, Jg. 12) Doch nicht nur die teilweise veränderte Reihenfolge und Vermischung einiger Szenen überraschte. Auch eine neu eingebrachte Facette der Unterdrückung und Ausbeutung eines Abhängigen, die sich in der Hauptmann-Woyzeck-Szene zeigt, ließ den Atem der Zuschauer:innen kurz stocken und schlug den Bogen zu gleichartigen Missständen in unserer Zeit: „Was für mich überraschend war, war die Tatsache, dass diese Inszenierung zusätzlich Bezüge zur Gegenwart aufwies, die nicht in Büchners Drama vorkamen“. (Lina, Jg. 12)
Zudem wurde jeder kleinste Winkel des Theaters genutzt, um den Leidensweg und die Verwandlung des Protagonisten in Szene zu setzen: „Die Licht- und Tonnutzung wurde erstaunlich gut dem Theaterstück angepasst; z.B. wurden während einer Halluzination Woyzecks verschiedenen bunte Lichter mitten in den Raum ausgestrahlt.“ (Jasmin, Jg. 12) Den Mord an Marie konnten zwar nicht alle sehen, da er in einer Ecke des Theaters zwischen den Zuschauerreihen verübt wurde, doch der an die Wand projizierte Vollmond und die markanten Geräusche ließen die Theatergäste erschaudern. Die Spielfreude aller Akteure und deren kostümbildnerische Ausstattung wurde von vielen Schüler:innen gelobt: „Die schauspielerische Leistung ist in meinen Augen hervorragend und würde schon als Grund allein ausreichen, um dieses Theater zu besuchen. Die progressive Verschlechterung von Woyzecks Allgemeinzustand war sehr schön zu beobachten, indem er immer verwirrter herumlief und Dinge sah und hörte, die man als Publikum nicht wahrnahm.“ (Gian-Luca, Jg. 12.)
Büchners „Woyzeck“ gehört seit diesem Schuljahr zur „Pflichtlektüre“ in der Oberstufe. Die Thematik bleibt aktuell und so ließen sich alle Rezensent:innen der Q1 mit Neugier und analytischem Blick gutgelaunt auf den Theaterabend ein.
B. Mader